Sozialisationsfunktion des Case-Modding – In der Beziehung von Menschen und Computern verändert sich etwas
Der folgende Text wurde ursprünglich als wissenschaftliche Hausarbeit im März 2005 verfasst und Ende 2012 auf diesem Blog veröffentlicht. Der Text geht der Frage nach, warum zu dieser Zeit die meisten Computer-PCs die ähnliche unbedeutende Farbe „eierschalen-gelb“ hatten.
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Man erkennt sie sofort, am Arbeitsplatz, in der heimischen Wohnung, im Kinderzimmer, im Fachgeschäft oder an vielen anderen Plätzen unseres Alltags. Diese weißlich, gelblichen quaderförmigen Kästen, etwa doppelt so groß wie eine Schuhschachtel, mal liegend, mal aufrecht stehend. Von Computern ist hier die Rede. Der normale Computer, den man im Kopf hat, ist meist in diesem weiß-gräulichen gelb, hat untereinander meist sehr ähnliche Abmessungen und die Proportionen des kastenförmigen Gehäuses sind ebenfalls in den meisten Fällen gleich.
Betrachtet man es historisch, angefangen in den frühen Siebzigern mit dem ersten Computern im handlichen Gehäuse, über die ersten PCs der Firmen IBM und Apple. In den Achtzigern gab es dann auch PCs von anderen Herstellern, woraufhin erste Normierungen einzelner Komponenten nötig waren. Nach einigen Jahren der Stagnation in der Entwicklung von Computergehäusen konnte man beobachten, dass Gehäuse von Nutzern auftauchten, die äußerlich stark bearbeitet aussahen. Da gab es plötzlich bunte Farben, Lichter und sogar Fenster ins Innere des Rechners zu sehen. In der historischen Betrachtung und in der Beobachtung des aktuellen Alltags fällt auf, dass der Computer zwei entscheidende Merkmale hat an denen man ihn schon seit langer Zeit erkennen kann: ein quaderförmiger Kasten dessen Proportionen nicht großartig variieren und die Farbe in einem gräulichen bzw. ockerfarbenem Weiß. Warum hat sich diese Farbe über lange Zeit so hartnäckig gehalten und warum ist es gerade diese eher undefinierbare und uneinheitliche Farbe? Die Frage, warum PCs meist weiß-gräulich gelb sind kann erst einmal nicht geklärt werden, aber sie führte zu einem Phänomen, das es zu verfolgen lohnt.
Der folgende Text versucht anhand des Grundmodells von Klaus Hurrelmann den sozialisationstheoretischen Rahmen zum Phänomen Case-Modding zu zeichnen. Mit Hilfe des systemischen Modells zur Beziehung von Menschen zu Medien von Ben Bachmair soll das Phänomen Case-Modding genauer beschrieben werden. Waldemar Vogelgesang liefert dabei Material zum Thema LAN-Parties und beleuchtet dabei die Sozialisationsfunktion dieser Facette der Computernutzung Jugendlicher. Um sich mit Case-Modding zu beschäftigen müssen sich Nutzer immer im Internet bewegen und viel surfen. Dieses beiläufige Stöbern bringt intensive Lernprozesse mit sich, die man dem Thema anfangs nicht zugestehen würde. Über die Hardware des Computers eignen sich Nutzer Expertenwissen v.a. aus dem Internet an, strukturieren darüber Teile ihrer Alltagswelt und bilden soziale Beziehungen.
1. In der Beziehung zwischen Menschen und Computern verändert sich etwas
Wir kennen den gewöhnlichen PC als merkwürdig grauen Kasten, der meist unbeachtet und häufig versteckt unter dem Schreibtisch steht. Die Entwicklung der Form und Größe eines herkömmlichen PCs geschah aus historischer Sicht im Laufe der 1980er und 1990er Jahre und steht in engem Zusammenhang mit der Standardisierung hin zum sog. ATX-Format. Die Form des Computers und die Farbe richten sich in erster Linie nach der Funktionalität und Ökonomie der einzelnen Bauteile. Interessant daran ist, dass die Gegenstände in unserem Alltag eher ästhetischen Grundsätzen folgen und uns als designed, durchgestylt und gestaltet erscheinen. Ihnen ist ein gestalterischer Planungsprozess und ein Gestaltungsprozess anzusehen (siehe Abb. 1). Der graue Computerkasten bildet dagegen eher eine ästhetische Wüste oder einen gestalterischen Leerraum (siehe Abb. 2).
Einige junge Menschen haben angefangen diesen Leerraum zu füllen und haben Computer nach ihren Wünschen umgebaut (siehe Titel-Bild dieses Beitrags).
„Offene, gestaltbare Technologien wie Internet und Computer haben deshalb auch immer eine jugendkulturelle Grundfarbe. Es geht darum, sich in unernster Weise gesellschaftlich verfügbare Dinge anzueignen und sie zur Kultivierung individueller Stile in den eigenen Alltag einzubauen. […] Bei wachsender Optionalität kann es keine eindeutigen Zwecke mehr geben. Der spielerische Umgang mit Technik wird deshalb zum vorherrschenden Umgangsstil.“
Claus Tully geht in seinen Arbeiten davon aus, dass es in der Entwicklung einfacher Maschinen hin zu komplexen Computern einen entscheidenden Wandel gab. Maschinen waren früher zweckgebunden. Sie wurden dazu konstruiert eine singuläre Aufgabe zu erfüllen, ob das die Kaffeemühle war oder eine Stanzmaschine. Personal Computer dagegen kann man für viele verschiedene Zwecke benutzen. Der Personal Computer ist nicht konstruiert um eine bestimmte, singuläre Aufgabe zu erfüllen, wie z.B. das Überwachen von Ein- und Ausschaltvorgängen an Lichtschaltern. Diese Eigenschaft des Computers, viele verschiedene Aufgaben und Zwecke erfüllen zu können, nennt Tully „Optionalität“ bzw. „Multioptionalität“.
Den PC könnte man im Gegensatz zur Maschine eher mit Nutzungsmustern beschreiben, wie man am Unterschied zwischen PCs und Notebooks erkennen kann. Im Notebook steckt fast die gleiche Technik wie im PC, sie ist jedoch sehr verkleinert und in einem anderen Gehäuse verpackt. Das Gehäuse beinhaltet sowohl einen Monitor, als auch Lautsprecher und ein Mikrofon. Mit seiner Bauform passt es also in ein Nutzungsmuster, in dem der Rechner auf Reisen benötigt wird, tragbar sein soll bzw. klein und leicht sein soll. Die Nutzer ordnen sich dementsprechend verschiedenen Nutzungsmustern zu, grenzen sich von anderen ab und bilden dabei Stile und Milieus bzw. sie ordnen sich ihnen im Laufe der Sozialisation zu. Kennzeichnend für verschiedene Stile und Milieus ist jeweils ein spezifischer Typ von Erlebnisweise, den Gerhard Schulze als „Erlebnisrationalität“ beschrieb.
2. Das Konzept der Sozialisation nach Klaus Hurrelmann
Klaus Hurrelmann fasst Sozialisation zusammen, wonach „Sozialisation bezeichnet wird als der Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich-materiellen Umwelt“. Verkürzt bedeutet das: Sozialisation ist die produktive Verarbeitung von innerer und äußerer Realität, wobei die innere Realität als der Mensch selbst mit seinen Wünschen, Hoffnungen, Erfahrungen und Erlebnissen zu verstehen ist. Äußere Realität ist dabei die Gesamtheit der dinglich-materiellen Welt außerhalb des Individuums, sowie der gesamte soziale Rahmen, in den das Individuum eingebettet ist. Der soziale Bezugsrahmen kann je nach Situation variieren, dies kann die Familie sein, die Peer-Group, die Schulklasse, Stile und Milieus oder das Staatsgefüge.
Der Computer im Arbeitszimmer gehört demnach zur äußeren Realität, genauso wie das Fernsehen, die Tageszeitung oder die Lehrerin vor der Schulklasse. Medien wie der Computer haben eine wichtige Rolle im Alltag der Menschen eingenommen, sie sind zu einem Teil des Alltags und der uns umgebenden Welt geworden. Medien stellen, genau wie unsere restliche Umwelt auch, Informationen und Themen zur Verfügung (als Pools von symbolischen Objektivationen), die Subjekte nutzen können, um ihren Alltag aktiv zu gestalten. Die Informationen werden den subjektiven Hintergründen und Bedürfnissen entsprechend von den Subjekten mit Bedeutung versehen, und zwar mit Bedeutung, die für die Lebensbewältigung wichtig und sinnstiftend sind.
Wie bereits beschrieben, hat sich in der Beziehung zwischen Menschen und Computern etwas verändert. Der Computer ist zweifellos ein fester Bestandteil unserer Alltagswelt und erlebt in letzter Zeit phantasievolle Umbauten, Erweiterungen und spielerisch gestalterische Bearbeitungen. Menschen haben begonnen den Computer äußerlich zu verändern, ihn zu bearbeiten, den gestalterischen Leerraum, den der Computer bietet, zu füllen. Sie haben sich dem Computergehäuse angenähert, es sich angeeignet und diesen Teil der äußeren Realität produktiv verarbeitet. Das Ergebnis dieser Verarbeitung ist wiederum die Entäußerung, in der das Computergehäuse mit bunten Lichtern auftaucht. Andersherum hat der Mensch durch seine Aneignung und Entäußerung bzw. in seiner produktiven Verarbeitung dem Computergehäuse Bedeutung verliehen.
3. Funktionszusammenhänge zwischen Menschen und Computer
Wie bereits dargestellt ist im Computer, in seiner Form und in seiner Hardware ein bestimmtes Verhältnis der Nutzer zu sich, zu ihrer sozialen, dinglichen und kulturellen Welt angelegt. Dieses Verhältnis zum Computer war bisher (vor dem Phänomen des Case-Moddings) vom Satz geprägt: „Never change a running system“. Dies bedeutete, dass man den Computer so nimmt wie er ist, ihn pfleglich behandelt und Soft- und Hardware, wenn sie einmal funktioniert, nicht mehr verändert. Innerhalb heutiger Aneignungs- und Nutzungsmuster ist das nicht mehr so eindeutig. Der Notebooknutzer würde z.B. kaum auf die Idee kommen ein Loch in den Gehäusedeckel zu scheiden um dort eventuell einen zusätzlichen Lüfter einzubauen, der von innen beleuchtet ist. Ebenso an den Stellen, wo der Computer generell in der erwerbstätigen Arbeit eingesetzt wird und in einer Wertschöpfungskette steht, werden die wenigsten Nutzer die Hardware so einschneidend verändern. Jugendliche hingegen nehmen eher das Risiko auf sich, dass der Rechner ein paar Tage ausfällt, weil die selbstgebaute Wasserkühlung ein Leck hatte weshalb nach einem Kurzschluss einige Hardware zerstört wurde, oder weil bestellte Teile noch nicht geliefert wurden.
Daneben waren PCs früher wesentlich teurer als heute. Der hohe Anschaffungspreis legte es nahe möglichst pfleglich mit den Gehäuse umzugehen, ihn staubfrei zu halten und keine Aufkleber anzubringen, die beim entfernen eventuell Spuren hinterlassen könnten. Diese Warnungen wurden möglicherweise von den Eltern eines engagierten jugendlichen Schülers ausgesprochen, die den teuren PC für ihren Sohn oder die Tochter angeschafft haben, damit dieser/diese bitteschön etwas mit dem Computer lerne. Sie hatten möglicherweise die Perspektive, dass ihr Sohn/ ihre Tochter mit dem Computer ein Instrument an die Hand bekommt mit dem er/ sie brav die Lernsoftware durcharbeiten und im Sinne der Lehrer gut lernen. Den teuren PC aus dieser Perspektive und mit den besorgten Eltern im Hintergrund zu verändern, zu zerstören oder ihn gar zu einer lebensgroßen Figur umzubauen, hätte für den Schüler in diesem Zusammenhang eine familiäre Krise ausgelöst. Durch erschwingliche und massenhaft verfügbare Hardware in unterschiedlichsten Variationen ist es auch mit jugendlichem Taschengeld möglich, unabhängig von den Eltern Hardware zu kaufen. Die billige Hardware ist also eine wesentliche Veränderung im Verhältnis der Menschen zum Computer. In diesem Fall wird der Funktionszusammenhang deutlich in dem der Computer steht. Durch die Verfügbarkeit der Hardware können sich Jugendliche den Computer freier und ungezwungener aneignen, ohne zwangsläufig mit ihrer Familie in Konflikte zu geraten.
4. Systemisches Modell der Beziehung von Menschen zu Medien
Für Mediensozialisation beschreibt Ben Bachmair auf der Grundlage von Klaus Hurrelmann ein Basismodell der Sozialisation, wonach Medien prägend in die Beziehung der Kinder bzw. Jugendlichen zu sich selber (subjektive Innenwelt), zu anderen (soziale Umwelt), zur Welt der Dinge und Ereignisse (dinglich-materielle Realität) zur Welt der Kultur eingehen. Ausgehend von diesem Basismodell hat Ben Bachmair das „systemische Modell der Beziehung von Menschen zu Medien“ entwickelt. Dieses Modell der Bedeutungskonstitution als Handlungskern von Mediensozialisation kann man ebenso als Analysemodell zur systematischen Beschreibung dieser Mensch-Medien-Beziehung verwenden. Es besteht aus sechs Punkten bzw. Kategorien, mit denen man das vorliegende Phänomen beschreiben kann.
4.1 Themen der Menschen (subjektive Sinnperspektive)
Die subjektive Sinnperspektive der Jugendlichen ist der individuelle Bezugsrahmen vor dem sie Ihren Alltag strukturieren, Dinge bewerten oder wie im hiesigen Fall dem Thema Case-Modding Bedeutung verleihen. Was könnten Themen Jugendlicher sein, die für sie handlungsleitend sind? Die Adoleszenz bringt besondere adaptive Spannungen zwischen Selbstentwurf und Veränderungsdruck mit sich. Die Notwendigkeit, bisherige Selbstdefinitionen drastisch zu verändern und die durch kognitive und emotionale Entwicklungsprozesse gewonnene Fähigkeit zur Selbstreflexion und zur Reorganisation des Selbstkonzepts machen die Besonderheit der Selbstkonzeptentwicklung im Jugendalter aus. In der Adoleszenz treffen viele körperliche, soziale und kognitive Veränderungen zusammen, welche die bisherigen Selbstbilder in Frage stellen. Hinzu kommt, dass in dieser Zeit wichtige Festlegungen getroffen werden müssen wie z.B. die Berufwahl. Das erfordert Selbstwissen über Können, Ziele und Motivationen. Es entsteht also die Notwendigkeit zum systematischen Nachdenken über sich selbst. (Nach den Aufzeichnungen und dem Skript zur Vorlesung “Psychologie des Selbst” von Prof. Dr. Ernst-D. Lantermann an der Universität Kassel, Fachbereich: 7 Wirtschaftswissenschaften, Abteilung: Psychologie. Winter 2004/2005)
„Jugendliche gelten generell als wichtige Akteure gesellschaftlicher Modernisierung, und wie sich zeigt, benutzen sie Computer gerade nicht einfach zum Rechnen, Schreiben oder Organisieren, sondern bauen dieses moderne Artefakt (ähnlich wie auch Musik, Moden und Mobilität) in identitätsstiftender Absicht in ihren Alltag ein. Jugendlichen geht es um die Ablösung von den primären (Familie, Schule) und die Orientierung hin zu den sekundären Sozialisationsinstanzen (Peers, Partnerschaft, Beruf). In diesen Prozessen der Ablösung und Verselbständigung werden unterschiedliche gesellschaftliche Angebote auf ihren identitätsstiftenden Beitrag hin beurteilt (vgl. Ferchoff 1997, Tully 1996), was ebenso für Musikstile wie für technische Artefakte (Fahrzeuge, Computer, Internet etc.) gilt. […] Sie prüfen, was jenseits klarer Zweckhaftigkeit sonst noch mit den Artefakten angefangen werden kann. Offene, gestaltbare Technologen wie Internet und Computer haben deshalb auch immer eine jugendkulturelle Grundfarbe.“
4.2 Bilder, Figuren, Geschichten von Medien (Angebote, Repräsentation)
Was ist im Medientext Computer als Kasten unter dem Schreibtisch angelegt? Wenn man die Hardware des Computers als Text versteht, dann sind darin bestimmte Handlungs- und Aneignungsmuster eingeschrieben. Dies könnte in Bezug auf Case-Modding der Leerraum sein, den das graue Gehäuse bietet. Es ist im grau-gelben Gehäuse angelegt, es zu verändern, an zu malen, zu bekleben oder bunte Leuchten ein zu bauen. Daneben versperrt das Gehäuse auch den Blick in das zunächst unbekannte Innere des Computers. Somit ist im Medientext Computergehäuse auch angelegt, es zu öffnen und Fenster zum Hineinsehen einzubauen. Zu diesem Medientext gehört aber auch der modulare Aufbau der Komponenten des PCs. Es ist möglich die Komponenten durch andere auszutauschen, dabei die Performanz zu verändern oder ihn lediglich zeitgemäß aufzurüsten. An dieser Stelle sei wieder auf Claus Tully’s Begriff der Multioptionalität verwiesen, der auch beinhaltet, dass der PC nicht nur zu keinem eindeutigen Zweck bestimmt ist, sondern dass auch die Zusammensetzung des PCs nicht festgelegt ist. Diese einzelnen Komponenten gibt es auf dem Markt massenhaft zu kaufen. Sie kosten relativ wenig Geld und sind im Rahmen des Taschengeldes Jugendlicher erschwinglich.
Zur realen Welt der Hardware gibt es im Internet eine textbasierte Repräsentationsform, in der Produkte beschrieben, beworben, getestet und diskutiert werden. Am Phänomen Case-Modding ist immer wieder auffallend, dass es für diejenigen Menschen, die sich am Case-Modding beteiligen wollen unumgänglich ist im virtuellen Raum Internet nötige Informationen zu besorgen. Das Feld der unterschiedlichen Hardware ist so breit gefächert, dass man im Einzelhandel um die Ecke nur einen minimalen Ausschnitt zu sehen bekommt. Im Internet hingegen bieten unzählige Online-Shops Einzelteile zum Case-Modding an. Diese riesige Flut an Auswahl zu bewältigen kostet zunächst einige Zeit an Beschäftigung. Entscheidend dabei ist, dass es auf der einen Seite den Computer als kastenförmige Hardware mit modularem Aufbau gibt, bei der man handwerkliche Fähigkeiten benötigt (eine sehr handfeste Dimension). Auf der anderen Seite ist mit diesem Gebiet das textbasierte Internet untrennbar verbunden. Hierfür braucht man Fähigkeiten und Strategien zum informellen, spielerischen Lernen anhand von komplexen, diskontinuierlichen Texten.
Als Spuren davon, was Jugendliche sich rund um den Computer und Case-Modding angeeignet haben stehen die Bilder und Reportagen im Internet zu Umbauten von Computern zur Verfügung. Die Entäußerung innerhalb des Sozialisationsprozesses ist letztlich das, was wir als Gegenstand objektiviert sehen können.
Was ist für Jugendliche offensichtlich und steht im Mittelpunkt des Medientextes Computer(-gehäuse)? Für die meisten Computernutzer steht im Mittelpunkt bzw. ist am Medientext Computer sicherlich offensichtlich, dass der PC eine Rechenmaschine ist. Das Gehäuse ist dabei zunächst eher unwesentlich, da darin nur die nach wie vor recht großen Komponenten verpackt sind, die letztlich die Rechenaufgaben bewältigen. Im Mittelpunkt der alltäglichen, „normalen“ Nutzung des PCs steht nicht das Gehäuse oder die Hardware des Rechners, sondern die Software. Nicht der Computer als Hardware wird in diesem Sinne vom Menschen benutzt, sondern eher die Software im Rechner. Die Software wiederum benutzt die Hardware, um Bilder darzustellen, Texte zu generieren, Tabellen zu berechnen, usw. Die Mensch-Maschine-Schnittstellen sind dabei nur die Tastatur, die Maus, der Bildschirm, und sofern angeschlossen, die Lautsprecher.
Nun ist aber die Software für den Otto-Normal-Nutzer nicht veränderbar. Es ist nicht möglich die Microsoft Programme zu zerlegen und neu aufzubauen. Zwar ist es möglich das Erscheinungsbild der Programme leicht zu verändern, doch ändert das die Funktionsweise der Software nicht. Auf der anderen Seite ist es möglich die Hardware zu verändern mit der Folge, dass diese Änderungen nach Außen sichtbar sind und teilweise unwiederbringlich sind (z.B. Fenster in der Seitenwand). Diese Veränderbarkeit steht für Jugendliche wiederum im Vordergrund bzw. bekommt Bedeutung. Hier sei auf Claus Tully verwiesen, der auf die Technikaffinität Jugendlicher und deren spielerischen Umgang mit ihr hinweist.
Was verbirgt sich unter der Oberfläche und steht am Rande eines Medientextes? Unter der Oberfläche der reinen Funktionalität des Rechners steckt beispielsweise der Funktionszusammenhang in den der PC eingebunden ist. Steht dieser PC nicht gerade unter einem Schreibtisch in einem Verwaltungsbüro, sondern im Zimmer eines Jugendlichen, so bekommt der PC häufig eine ganz andere Rolle. Jugendliche befassen sich mit der Hardware des Computers, vergleichen Produkte in Online-Shops und lesen Testberichte. Dass Jugendliche bei diesem im Computer angelegten Nutzungsmuster große Mengen Text rezipieren und dabei etwas lernen erschließt sich dem flüchtigen Betrachter nicht sofort.
4.3 Situationen der Nutzung von Medien und der Rezeption von Medienangeboten
Die Computernutzung Jugendlicher ist zum Teil in soziale Arrangements eingebunden wie z.B. LAN-Parties, in Gespräche zwischen den Peers aber auch eingebunden in den häuslichen Rahmen.
„Alte und neue Medien unterliegen gleichermaßen einer faszinierenden Dialektik von Gemeinschaftsbildung und Individualisierung. […] Zudem werden sie gerade für Jugendliche verstärkt zum Kristallisationspunkt für Szenen und Fankulturen, verbunden mit eigenen Regeln, Ritualen und Zugehörigkeitsformen”.
Die Computernutzung und die Auseinandersetzung mit Case-Modding lebt im Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit (dem Internet) und der individuellen, intimen häuslichen Nutzung. Waldemar Vogelgesang beschreibt ebenfalls, dass die Computernutzung Jugendlicher einerseits von Vernetzung geprägt ist, es daneben aber auch „offline“-Nutzer gibt. Sie nutzen wiederum v.a. private LAN-Parties zum Erfahrungs- und Wissensaustausch.
Die Gruppe wird für die Jugendlichen dabei zu einer Art Wissensdrehscheibe und Sozialisationsagentur in Computer- und Netzfragen, wobei Strategien des Selbermachens und der ständigen Marktbeobachtung eine wichtige Rolle spielen. Hinzu kommt, dass gerade die größeren LAN-Partys und LAN-Events regelrecht zu Showbühnen der Spezialisierungs- und Kompetenzinszenierung werden.
4.4 Bezugsfeld: Soziale Umgebung (Familie und Gleichaltrige)
Zum Bezugsfeld der Peers sei auf die Texte von Vogelgesang verwiesen, der die Sozialisationsfunktion der sozialen Vernetzung unter Jugendlichen beschreibt.
Innerhalb des Bezugsfelds Familie ist es nicht mehr der Familiencomputer der teuer war und nicht verändert werden darf, sondern es ist der eigene Rechner, der vom Taschengeld bezahlt wurde. Evtl. mahnen die Eltern das Taschengeld doch lieber für sinnvollere Dinge auszugeben, als für Fenster im PC-Gehäuse.
4.5 Bezugsfeld: intertextuelle Welt der Medien
Die Veränderungen am PC lehnen sich an Spuren aus anderen Medien an. Band-Logos als Ausschnitte im Gehäuse, Manometer (bekannt aus anderen Zusammenhängen) erscheinen auf der Front des Rechners.
Festzuhalten bliebt, dass der Computer mit seiner Hardware in vielen Beziehungen mit dem Internet verbunden ist. Der Computer ist auf der Nutzerseite zentraler Kristallisationspunkt aller Anwendungsmöglichkeiten, die letztlich die Software in Verbindung mit der Hardware bietet. Diese Beziehung legt in sich bereits intertextuelle Bezüge in viele Bereiche des Alltags an. Aus forschungsökonomischen Gründen verzichtet der Autor an dieser Stelle auf eine genaue Beschreibung der intertextuellen Bezüge und Verflechtungen, die das Case-Modding bietet, da dieses Feld für diesen Rahmen zu breit ist.
5. Case-Modding: Informelle Lernprozesse bei der Aneignung
Der Computer als Teil der realen Welt, verflochten in den Sozialisationsprozess. Der Computer als Hardware ist Teil einer realen Alltagswelt, die greifbar ist, die körperlich vermittelt ist und soz. handfest ist. Dem gegenüber steht das Internet als Teil von Software in einem virtuellen Raum. Dabei bietet der Computer den Zugang zur Software und damit zum Internet. In der realen Welt, quasi offline, steht die Computerhardware, die verändert werden soll. Computerhardware ist in den Alltag integriert, sie ist ein fester Bestandteil der häuslichen Umgebung und ist damit auch fester Bestandteil primärer Sozialisation.
5.1 Im Internet spielerisch lernen
In der online Welt, im Internet tauschen sich Gleichgesinnte über Erfahrungen mit Case-Modding in Foren aus, spezialisierte Händler verkaufen passende Einzelteile für solche Projekte und auf wieder anderen Websites gibt es Reviews und Hardwaretests zu lesen. Der Prozess der Aneignung von Informationen zum Thema Case-Modding verläuft dabei hauptsächlich textbasiert und ist schulischen Repräsentationsformen des Lernstoffs daher nicht unähnlich.
„Ein entscheidendes Merkmal von Online-Communities besteht darin, dass sich aufgrund der Textbasiertheit des überwiegenden Teils des Internet Sozialität im Medium der Schriftlichkeit konstituiert, denn Kommunikation im Internet ist in der Regel Kommunikation in Form geschriebener Sprache, es ist gleichsam elektronische Schriftlichkeit: Kommunikation im Modus der Textlichkeit.“
Über solches intrinsisch motiviertes, projektorientiertes und selbst gesteuertes Lernen würden sich Lehrer im Rahmen von schulischem Lernen möglicherweise freuen. Der Umbau eines Computers erfordert sehr viel Beschäftigung mit dem Thema selbst, man muss sich für ein Design des Gehäuses entscheiden, dabei die Wahl der Materialien treffen und schließlich müssen die Einzelteile bestellt und ordentlich eingebaut werden. Nicht zu vergessen die große Frage, ob der PC nach dem Umbau auch funktioniert. Diese Arbeitsprozesse sind immer durch das Internet begleitet. Anhand vieler Bildergalerien kann man über mögliche Designs den eigenen Entwurf konkretisieren. Die Wahl der Materialien und der Einkauf hängen häufig stark vom Geldbeutel ab, also versucht man in recht aufwendigen Suchprozessen im Internet einen möglichst günstigen Händler zu finden. Wenn der Computer dann, wenn er zusammengebaut ist nicht mehr funktioniert, dann bedeutet das zunächst nicht einen Misserfolg. Wiederum im Internet kann man in entsprechenden Foren Themen lesen, die ein ähnliches Problem beschreiben, oder man kann das eigene Problem zur Diskussion stellen. An dieser Stelle setzt eine Art Schleife aus Ausprobieren, Fehlersuche, Konkretisierung am Internet und schließlich Nachbesserung ein.
„Bleibt von diesem Aktuellen und Flüchtigen [stöbernden Suchen im Internet, Rummler] etwas in ihm [Nutzer, Rummler] hängen, haben sich also seine inneren Bedingungen – beispielsweise sein deklaratives und prozedurales Wissen – überdauernd verändert, hat Lernen im Prozeß der Arbeit beispielsweise in Form inzidentem bzw. funktionalem Lernen (incidental learning) bzw. ,,Lernen en passant” (Reischmann, 1988) stattgefunden.“
Claus Tully beschreibt, dass die Multioptionalität des Computers informelle, spielerische Lernstrategien notwendig macht. Die Multioptionalität des Computers eröffnet auch die Möglichkeit ihn umzubauen, wobei diese Arbeit ohne spielerisches, informelles und manchmal zielloses Surfen im Internet nicht möglich ist.
„Der spielerische Umgang mit Technik wird deshalb zum vorherrschenden Umgangsstil. Surfen beschreibt ein offenes und spielerisches Verhältnis, das zur Welt des Computers eingenommen wird. Die lockere Suche im Internet ist somit keine zufällige, sondern eine notwendige Begleiterscheinung, um auch unter der Bedingung von Dynamik und Vielfalt der Möglichkeiten agieren und reagieren zu können.“
Beim Stöbern und Suchen laufen also informelle und spielerische Lernprozesse ab. Diese Lernprozesse sind dabei eingebunden in Gruppenaktivitäten, wie das folgende Zitat verdeutlicht. Die PC Hardware spielt die zentrale Rolle, denn jeder Nutzer hat prinzipiell die gleiche Ausrüstung.
„”Wir treffen uns meist am Wochenende bei einem aus unserer Clique. Das ist dann jedes Mal super viel Action, weil jeder seinen eigenen PC mitbringt und wir die Geräte dann gemeinsam vernetzen. Das hat am Anfang total Probleme gemacht, weil man ja Zugriff auf den Rechner der anderen hat. Da waren Abstürze vorprogrammiert” (Fabian, 16 Jahre).
Immer wieder finden sich in den Interviews Hinweise darauf, welche Herausforderung die Vernetzung der Computer für die Jugendlichen darstellt. Während viele sich vorher um solche technischen Dinge nicht sonderlich gekümmert haben, sind sie nun mehr oder weniger gezwungen, sich auch damit intensiv auseinander zu setzen. Learning by Doing heißt die Devise in der ersten Lernstufe. Jedoch tritt nach und nach an die Stelle des Versuchs-Irrtums-Lernens ein größeres und elaborierteres Wissen über die unterschiedlichen Vernetzungsformen sowie ein ausgeprägtes Interesse an spezifischen Neuerungen im Hard- und Softwarebereich. Die Gruppe wird dabei für die Jugendlichen zu einer Art Wissensdrehscheibe und Sozialisationsagentur in Computer- und Netzfragen, wobei darüber hinaus Strategien des Selbermachens und der ständigen Marktbeobachtung eine wichtige Rolle spielen.“
Waldemar Vogelgesang beschreibt verkürzt, wie in die Prozesse der Vernetzung unter Jugendlichen an erster Stelle Hardware involviert ist. Jugendliche, nachdem sie ihre PCs auf eine private LAN-Party mitgebracht haben, sie aufgebaut haben, die PCs auf irgendeine Weise miteinander verkabeln. Drahtlose Netzwerke werden dabei nach wie vor ebenso verkabelt. Je größer die Parties werden und je mehr Menschen und Computer daran teilnehmen, umso größer wird der Aufwand, der in die gemeinsame Netzwerktechnik gesteckt wird. Nachdem auf einer solchen Party die Rechner seitens der Hardware „vernetzt“ sind, stellen die Jugendlichen die Software und die jeweiligen Betriebssysteme der Computer auf das neue Netzwerk ein. Bis diese Prozedur reibungslos abläuft haben die Jugendliche endlose Stunden mit Fehlersuche, Konkretisierung im Internet, Lesen von Zeitschriftartikeln und Auseinandersetzungen mit Gleichgesinnten hinter sich. Dabei haben sich in der Gruppe einige als Experten herausgestellt, um die sich andere Nutzer gruppieren und vom Wissen und der Erfahrung der Experten profitieren. Die Struktur dieser Gruppen ähnelt den von Waldemar Vogelgesang Ende der 80er Jahre untersuchten Video-Cliquen.
5.2 Jugendliche werden zu Experten in Sachen Computer
Jugendlichen bietet das Thema Case-Modding durch die Auseinandersetzung mit dem Computer, seiner Möglichkeiten und durch das integrierte Handeln und Kommunizieren die Chance zum Experten zu werden. Innerhalb des Handlungs- und Aneignungsmusters Case-Modding wählen und gewichten Jugendliche die Fülle von Angeboten, indem sie sich innerhalb ihrer Bezugsgruppe (Peers, Freunde, Familie) integrierend oder abgrenzend zum Experten machen. Die Fülle an Medien- und Warenangeboten machen Auswahlaktivitäten der Nutzer nötig. Experten sind zwischen Wahlangebot und Nutzern die Instanz, die eine Orientierung innerhalb des Konsumangebots bieten. Durch Experten werden bestimmte Themen reflektiert, kommuniziert und eröffnen dadurch die Kommunikation mit Peers. Dem entsprechend werden Mediennutzer zu Experten von neuen Formen und Handlungsmustern wie dem Case-Modding, wenn sich in unserer Kultur zu diesem Handlungsmuster noch keine gültigen Deutungsmuster durchgesetzt haben. Der Weg zum Experten ist gekennzeichnet von informellen, spielerischen Lernprozessen, die im Alltag teilweise beiläufig oder intentionell ablaufen. Dieser Prozess lässt sich auch mit dem Stichwort „Sozialisation in eigener Regie“ von Heinz Hengst oder dem Konzept der Alltagsmedienkompetenz beschreiben, wonach Kinder und Jugendliche durch ihre alltäglichen Erfahrungen im Umgang mit Medien sind sie grundsätzlich kompetent im Umgang mit Medien sind.
6. Computerhardware und ihre Nutzer – Fazits und Ausblick für weitere Studien
Die eingangs gestellte Frage, warum Rechner eierschalenfarbengelb sind konnte nicht explizit beantwortet werden. Trotzdem gehört diese Farbe zu einer der zentralen Eigenschaften und Konzepten des Computers. Die neutrale Farbe des Computers ist Teil der Multioptionalität des Gerätes und legt in ihm einen gestalterischen Frei- oder Leerraum an. Die Computerhardware ist nicht auf eine spezielle Aufgabe festgelegt, sondern so offen wie möglich angelegt, so dass der Computer so universell einsetzbar ist, wie möglich. Die Computerhardware als Dimension in der realen Welt ist begleitet von vernetzten sozialen Strukturen im Internet. Nutzer, die sich mit speziellen Themen wie dem Verändern der Computerhardware beschäftigen, lernen spielerisch beim Surfen im Internet, immer eingebunden in soziale Strukturen. Zusammenfassend gilt es zunächst drei folgende Fazits festzuhalten:
- Der zunächst metaphorisch verstandene Begriff des gestalterischen Leer- oder Freiraumes, stellte sich als eine im Konzept Computer angelegte Lücke heraus, an der junge Menschen in ihrer Mediensozialisation einhaken können.
- Die Computerhardware eröffnet den Zugang zur vernetzten Welt des Internet und bietet auch die Dimension der sozialen Vernetzung unter den Peers und ist begleitet durch ernst zu nehmende spielerische Lernprozesse.
- Die Strukturierung der Peer-Groups erschießt sich dabei über das Konzept, Jugendliche als Experten in Sachen Computer.
In Deutschland steht die Frage nach dem Beitrag der Hardware neuer Medien zur Mediensozialisation nicht im Vordergrund. Die zentrale Expertin für dieses Thema, Professorin Shelly Turkle vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) arbeitet am Thema „Technology and Self“ (vgl.: http://web.mit.edu/sturkle/www/) und ist eine der wenigen Wissenschaftlern, die sich mit diesem seit Ende der 80er Jahre Thema beschäftigt. Wohl am intensivsten bearbeitet in Deutschland Claus Tully das Thema des informellen, zufälligen und spielerischen Lernens beim beiläufigen Surfen im Internet, sowie die Relevanz von Technologie und Hardware für Mediennutzer. Das Konzept der Alltagsmedienkompetenz , das innerhalb des Projekts www.Schulmedientauschbörse.de von Ben Bachmair, Julia Rasche, Frauke Textor, Judith Seipold und Klaus Rummler entwickelt wird, beschreibt im Prinzip diese Lernprozesse als Aneignungsprozesse. Es hat den Anschein, als wären es hauptsächlich männliche Nutzer, die ihren Computer umbauen und einen besonderen Bezug zu Technologie und Hardware haben. Weitere Forschungsvorhaben könnten wiederum dieser Vermutung nachgehen.
Literatur